SIMONE SCHARBERT
LYRIK
»Räume, Körper und Leere sind zentrale Begriffe in einer Lyrik, die untersucht, wer das Ich ist, wer das Du. Das ist immer ein Teil Selbstbefragung, ein Teil Beziehungsarbeit. Einatmen, der Rückzug auf das Ich, Ausatmen, das Zugehen auf andere, das Sprechen. Gerade die Zusammenhänge zwischen Ausatmen und Sprechen untersucht Scharbert.«
Eric Giebel: Erzähl mir vom Atmen | VITABU VINGI: Literatur-Blog | https://www.vitabuvingi.de/?p=1791
» Ich kann Scharberts Gedichte nicht lesen, ohne immer wieder das Bedürfnis zu verspüren, sie, oder wenigstens einzelne Formulierungen, jemandem vorzulesen, und sei es den Menschen, die um mich herum im Café sitzen: „von uns steckt inneres jetzt flachatmig in spalten”, „das staunen am versinken der sprache im organischen”, „in weißen bettlaken tauschen wir sätze wie einweggefäße”, „in dir reiben finger haut zu papier”… das kann man doch gar nicht leise lesen!«
Dirk Uwe Hansen: Vom Fließen / Vom Zwischen | Signaturen Magazin | http://www.signaturen-magazin.de/simone-scharbert--erzaehl-mir-vom-atmen.html
»In der Wahrnehmung, hat der Philosoph Gernot Böhme einmal geschrieben, bleibt keiner allein. Wer sich denkend und fühlend durch die Welt bewegt, ist immer schon bezogen auf etwas, begrenzt, vielleicht sogar abhängig. Die Dichterin Simone Scharbert tastet in ihrem Debütband diesem Verhältnis nach. Bei ihr ist das physische Medium des Zusammenspiels von innen und außen die Haut: ein durchziehen von innen nach außen im austausch / dein körper der ganze tag durchlässig eine feine membran / floating like in plasma. Und so öffnet der Körper sich auch den Wörtern. Das Gedicht fächert seine Sprachbilder auf und holt verwandte Stimmen in seinen Rhythmus, von Thomas Kling etwa. Scharbert staut den Lauf der Verse immer wieder für Momente, um die Wörter neu gleiten zu lassen, wie jene kurz ausgesetzte bewegung, die als Nullpunkt dient für das nächste rhythmische Moment. Diese Gedichte können nicht nur atmen, sondern tatsächlich in luftblasen denken.«
Nico Bleutge | Stuttgarter Zeitung (7.1.2018)
WAS WIR UNS WÜNSCHEN
atmen lernen oder erzählen eintauchen in lungen ins kapillare / netz brustschwimmen durch blutbahnen durch deine und / meine in luftblasen denken die gegenwart tauschen mit / jemandem der sagt erzähl mir vom atmen
On being ourselves ist das erste Gedicht dieser Sammlung überschrieben. Doch den damit wie nebenbei formulierten Anspruch lösen auch alle folgenden Texte ein – mittels Sprache zu erkunden, wen wir eigentlich meinen, wenn wir »ich« sagen. In Simone Scharberts frei flottierenden Versen findet zusammen, was allzu oft nur getrennt zu haben ist: Formbewusstsein und Lust an der Grenzüberschreitung, Theorie und Körperlichkeit, konzentrierte Alltagsbeobachtung und existenzielle Reflexion. Wo endet das Atmen, wo beginnt die Rede? Wie fühlt es sich an, wenn sich die Grenzen zwischen Innen und Außen permanent verschieben? Kann es zwei Menschen gelingen, gemeinsam zu sprechen und dennoch die eigene Stimme, den eigenen Ton zu wahren? Dieses Debüt ist weit mehr als eine Talentprobe!
ERZÄHL MIR VOM ATMEN | RANIS 2017 | 10 EURO | ISBN 978-3-00-058092
www.lesezeichen-ev.de
» Solche Lyrik ist ein Herz- wie Hirnschmaus und somit auch als Lektüre für alle geeignet, die vor einem zeitgenössischen Gedicht zurückschrecken, weil sie fürchten, es könne unverständlich sein. Das Gegenteil ist hier der Fall; und für den Lyrikkenner verästelt es sich zudem durch die Zitate und Anspielungen in interessanteste Nebengebiete. Kurzum: Ein Debütband, an dem man nicht vorbeigehen, in dessen Wortraum man vielmehr eintreten sollte ... «
Jürgen Brôcan: Notiz an einen unbekannten Adressaten | fixpoetry |
https://www.fixpoetry.com/feuilleton/kritik/simone-scharbert/erzaehl-mir-vom-atmen
FREQUENZ
das schrauben der glühbirne ein geräusch so laut wie dünnes metall nur sein kann wenn tag und nacht keinen unterschied mehr machen der pegel immer derselbe ist immer zu hoch immer zu tief schwimmen müsste man dann können auf diesen wellen oder aus sich selbst einen dünnen draht flechten leuchtkörper werden für einen moment nur mittel zum zweck sein
In: Erzähl mir vom Atmen. Raniser Debüt 2017. Verfilmt von Lisa Domin: Sonne auf Erden & Semih Korhan Güner: Leuchtkörper. Zebra Poetry Festival 2018: http://www.zebrapoetryfilm.org/2018/filme/khm7.html
VERORTEN. IN: DER GREIF. ISSUE 10. www.dergreif-online.de
GLEICHZEITIGKEITEN
körper die gibt es viele körper ein atmen ein bilden gravuren im tag während jemand tee kocht jemand straßen entlang geht die stimme außer acht an der leine neben sich selbst unter geht zwischen körpern die gibt es sich selbst nicht mehr hört einen tee trinkt ohne geschmack der belag der straßen einen namen dafür gibt es nicht deinen körper aber den gibt es
außerdem 2018. zeitschrift für zeitgenössische literatur.www.ausserdem.de
BRUSTSCHWIMMEN, wolkengerippt
(I)
schöpfen einen raum teilen die oberfläche ziehen kreise durch halten spannung zwischen aufgereihten knochenpaaren im eigenen körper falschen oder echten köpfchen ist nichts zu verorten von uns steckt inneres jetzt flachatmig in spalten holen wir luft die arme schützen haut aus gewohnheit öffnen unser auge unterm wolkengerippe
(II)
und noch eins dort wo nur wenig platz zum treiben oder durchsichtig werden ist schwimmen wir weiter schwimmen nebeneinander atmen der mund unter wasser umspült zungen und gaumen schlucken wir am chlor oder an sätzen des anderen setzen erneut an setzen alles mit ausgestreckten armen und angewinkelten beinen schieben wir uns
(III)
über oberflächen sehen gesichter eine schwimmende masse in teilen fransen aus so ganz ohne widerstand driften durch tage und nächte pumpen weiter luft durch brusträume packen lungen in flügel und kraulen durch fugen gelenkartig hören gleichmäßig das pumpen in uns dröhnen fragen nicht weiter (vom kopf an)
Jahrbuch für Lyrik. Schöffling Verlag. 2017 https://www.schoeffling.de
IM REICH DER FACETTE
und jemand der dir von bienen erzählt mit händen mit gesten versucht ihrem körper ihrem flug eine form einen ausdruck zu geben denkst du aber an augen schwarz gepunktet filigrane facetten eines einzelnen organs und ob du darin auftauchen dich wiederfinden würdest im unbewegten netz dieser waben dein verwehtes ich am linsenrand verkleben wörter dir deinen mund
Postpoetry.Preis.Nrw 2018 http://postpoetrynrw.blogspot.com/
BERICHT AUS DER NACHT
mein körper ein embryo vor deinem wort lungert ein ersatz der nacht aus zahlreichen ecken und wie viele ecken kann ein raum haben dunkeln aus fragen die grenzen meines hirns schlagen an eine wand darauf helle sporen ein ansetzen ein fortsetzen manche nennen es sprache und ich gebäre mich als insekt auf deiner haut als hätte ich keine angst als läs ich bei dir erst den text
Mikrotext-Verlag. Erscheint Februar.2019https://www.mikrotext.de/book/alexandru-bulucz-hg-die-32-schimmelarten-des-joseph-brodsky-gedichte-und-fotos/
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